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Zur Videoinstallation von Ronja Vogl

Postcolonial Migration to Mexico – mexican society and the phenomenon of Malinchismo

 

Die Videoinstallation beschäftigt sich mit der Migration von EuropäerInnen nach Mexiko und analysiert das Phänomen des Malinchismus sowie Funktionsmechanismen der mexikanischen Gesellschaft.

 Sie vereint Interviews mit europäischen MigrantInnen, MexikanerInnen und mexikanischen ExpertInnen (Geschichte, Kulturantrophologie, postcolonial studies).

 

Hintergrund:

Nach wie vor ist die mexikanische Gesellschaft stark von ihrer kolonialen Vergangenheit geprägt.

Die Aufteilung in Gesellschaftsschichten ist in Mexiko noch augenscheinlicher als in Euopa. Es besteht eine verschwindend kleine jedoch sehr reiche Oberschicht, eine verhältnismäsig kleine Mittelschicht, ein Großteil der Bevölkerung lebt in „Armut“. Als ich 2012 das erste Mal für längere Zeit nach Mexiko kam, fiel mir der interne Rassismus, der zwischen weißeren MexikanerInnen und MexikanerInnen mit dunklerer Hautfarbe herrscht, sehr stark auf. Er basiert auf einem alten Kastensystem. Die Gesellschaft hat sich durch die Unabhängigkeit des Landes zwar offiziell von der Einteilung in Kasten getrennt, die Ungleichheit und der Rassismus sind dadurch jedoch nicht verschwunden. Diese Umstände nähren das Phänomen des Malinchismo und führen zu einem positiven Rassismus, der gegenüber weißen Europäern besteht, denen sich in der mexikanischen Gesellschaft scheinbar sehr schnell Aufstiegschancen bieten, da sie häufig automatisch der Ober bzw. Mittelschicht zugeordnet werden.

Meine künstlerische Forschung untersucht die mexikanische Gesellschaft in Bezug auf das Phänomen Malinchismo und seine Auswirkungen auf die Situation europäischer MigrantInnen deutscher Sprachgruppen.

 

Kurze Begriffserklärung: MALINCHISMO/ MALINCHISMUS:

Malinchismo ist ein Wort aus dem mexikanischen Sprachgebrauch. Der Terminus beschreibt ein bevorzugendes Verhalten gegenüber AusländerInnen (im Speziellen in Bezug auf weiße EuropäerInnen/US AmerikanerInnen). Eine Person wird als malinchista bezeichnet, wenn sie dazu neigt AusländerInnen und ausländische Einflüsse gegenüber nationalen zu bevorzugen bzw. die eigene Kultur als geringer einschätzt.

Der Begriff hat seinen Ursprung im Namen der historischen Figur Malinche. Malinche (auch Malinzin, Malina oder Malinali) war die Dolmetscherin und Geliebte von Hernán Cortés, die ihn während der spanischen Eroberung begleitete. Sie unterstützte die spanischen Kolonisatoren in Verhandlungen von Allianzen und Pakten mit verschiedenen indigenen Völkern. Malinche war schon als Kind versklavt worden und wurde Hernán Cortés als Sklavin geschenkt. Sie hatte einen Sohn mit H. Cortés der als einer der ersten Mestizos (Personen mit indigenen und europäischen Wurzeln) gilt. Ihre Geschichte wird heute sehr unterschiedlich interpretiert, die Entwicklung politischer und sozialer Perspektiven, vor allem nach der mexikanischen Revolution, nahmen großen Einfluss auf die Wahrnehmung dieser Figur. Heute wird Malinche aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, als Verräterin, als klassisches Opfer oder als symbolische Mutter der neuen culturas mestizas (gemischten Kulturen), die sich seit der conquista herausbildeten. Aus feministischer Perspektive wird sie auch als selbstbestimmte und diplomatische (allerdings etwas egoistische) Frau gesehen, die sich den Umständen anpasste und aus diesen das Beste für sich selbst machte. Erzählungen und Ansichten über ihre Person sind in die Videoinstallation eingebunden.

Der Malinchismus steht in direkter Verbindung mit der Entwicklung der mexikanischen Gesellschaft nach dem Eintreffen der Kolonisatoren. In vielen Fällen sind hohe politische Posten bzw. einflussreiche Positionen nach wie vor durch Menschen weißer Hautfarbe besetzt. Die Oberschicht ist generell heller als die unteren Klassen, daher werden ankommende weiße Europäer oft automatisch mit den oberen Klassen assoziiert.

Malinchismus ist ein angelerntes Verhalten, das auch unter indigenen MexikanerInnen verbreitet ist und sich häufig gegen die eigenen Interessen richtet. Oft werden eigene gesellschaftliche Positionen unkritisch übernommen, ohne die internalisierten unbewussten Diskriminierungsmechanismen zu reflektieren. Das verhindert ein Ausbrechen aus der zugeschriebenen sozialen Rolle.

 

Kurze Zusammenfassung zur Migration deutschsprachiger EuropäerInnen nach Mexiko:

Ich verwende den Terminus Deutschsprachige, da in Mexiko diese nicht nach Nationalität differenziert werden, sondern meist alle unter dem Begriff Deutsche zusammengefasst werden. Die Interviews führte ich ebenfalls mit Deutschsprachigen unabhängig von ihrer Nationalität.

Heute migrieren Deutschsprachige aus unterschiedlichen Gründen nach Mexiko: Auf Grund von Arbeitsangeboten, weil sie Handel betreiben oder ein Geschäft eröffnen möchten (was in Mexiko auf Grund der weniger strengen Gesetzeslage einfacher ist), aus Abenteuerlust, auf Grund von Liebesbeziehungen oder weil sie etwas Grundlegendes in ihrem Leben ändern und eine neue Kultur kennenlernen wollen.

Nicht alle fühlen sich bevorteilt in der mexikanischen Gesellschaft. Die Möglichkeiten für EuropäerInnen stehen in starkem Zusammenhang mit ihren Berufsgruppen. Klarerweise haben Menschen, die mit Verträgen europäischer Firmen nach Mexiko kommen, starke ökonomische Vorteile, die auf dem Einkommensunterschied zwischen ihnen und MexikanerInnen der selben Berufsgruppe basieren. Daraus ergibt sich die Möglichkeit gesellschaftlich aufzusteigen.

Alle Interviewten beschreiben die MexikanerInnen als freundlich und offen und fühlen sich daher im Land willkommen.

Wenn man die Situation von MigrantInnen lateinamerikanischer Herkunft in Europa mit der Situation von europäischen MigrantInnen in Mexiko vergleicht, erkennt man klar, dass EuropäerInnen in Mexiko besser und freundlicher aufgenommen werden als LateinamerikanerInnen in Europa.

Während meiner Arbeit wurde mir aber auch wieder bewusst, dass (grundsätzlich) jede Person mit einer gefragten bzw. wirtschaftlich verwertbaren Ausbildung oder/und ausreichend Geld in der Tasche, in den meisten Teilen der Welt willkommen geheißen wird. (Zumindest sofern sie nicht flüchtet sondern aus freien Stücken migriert, dies wird sich vor Allem in den nächsten Jahren in Europa erst zeigen. Unter anderem da der zugewiesene Aufenthaltsstatus große Unterschiede in den sich daraus ergebenden Möglichkeiten hervorbringt).

Das verallgemeinerte Bild, das von europäischen MigrantInnen in Mexiko existiert, ist das eines reichen, gebildeten, erfolgreichen Menschen, den man respektiert. Europäische Bildung ist in Mexiko generell hoch angesehen und eröffnet den Menschen eine Reihe von Möglichkeiten. Junge europäische AkademikerInnen finden häufig leichter Anstellungen auf Universitäten in Mexiko als in Europa.

Im Zusammenhang mit meiner Frage zu ihren jeweiligen Migrationserfahrungen gaben einige InterviewpartnerInnen interessanterweise an, sich nicht als MigrantInnen zu fühlen. Das hängt damit zusammen, dass sie das Wort MigrantIn mit dem Bild von Personen identifizieren, die ihr Land aus ökonomischen oder asylrelevanten Gründen verlassen. Die offizielle Definition laut Veröffentlichungen der UNESCO beschreibt MigrantInnen aber wie folgt:

The term ‚migrant‘ in article 1.1 (a) should be understood as covering all cases where the decision to migrate is taken freely by the individual concerned, for reasons of ‚personal convenience‘ and without intervention of an external compelling factor.“ (http://www.unesco.org/most/migration/glossary_migrants.htm ; 12.08.2015)

Die Entscheidung zu migrieren wird frei vom betroffenen Individuum aus Gründen des persönlichen Vorteils/ der pers. Zweckmäßigkeit und ohne Intervention jeglicher externer zwingender Faktoren getroffen.

Daher ergibt sich, dass meine InterviewpartnerInnen per Definition MigrantInnen sind. Der Begriff Flüchtling wird im Gegensatz zu MigrantIn folgendermaßen festgelegt: Der Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, da sie auf Grund ethnischer Zugehörigkeit, ihrer Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf Grund ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann, oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.

EuropäerInnen, die auf Grund persönlicher oder beruflicher Gründe migrieren, bezeichnen sich häufig lieber als Expats. Als Expats werden Fachkräfte bezeichnet die von internationalen Unternehmen vorübergehend – meist für ein bis drei Jahre – an eine ausländische Zweigstelle entsandt werden.

Dies traf aber für fast keineN meiner InterviewpartnerInnen zu. Meiner Meinung nach ist der Begriff Expats veraltet und politisch inkorrekt, da er nur eine Art ist, sich gesellschaftlich möglichst stark von anderen MigrantInnen oder Flüchtlingen abzuheben. Meinem Empfinden nach unterstützt er in gewisser Form eine Betonung und Weiterführung der Kolonialgeschichte, da er auf beabsichtigter gesellschaftlicher Differenzierung zwischen MigrantInnen beruht.

Im Fall der Deutschsprachigen existiert in Lateinamerika auch in der „klassischen“ Literatur häufig das Bild des ehrlichen, arbeitsamen und gebildeten Menschen. Das Willkommensein in Mexiko hat möglicherweise auch mit der Geschichte zu tun, in der Deutsche, Österreicher und Schweizer nicht direkt als Kolonialherren involviert waren (mit Ausnahme der 3jährigen „Herrschaft“ von Maximilian von Habsburg, der damals in Mexiko wenig beliebt war und dem inzwischen wenig Beachtung geschenkt wird). Aus historischer Sicht kamen Deutschsprachige seit dem 16. Jhdt. nach Mexiko. Es waren jedoch wenige und vorwiegend Mönche, die einwanderten um zu missionieren und sich im Bildungswesen zu beschäftigten. Eine größere Migrationswelle erreichte Mexiko im 19. und 20. Jahrhundert. Diese Menschen kamen mit dem Ziel, sich in Mexiko im Bereich des Handels – des Imports und Exports – sowie im Kaffeeanbau zu betätigen. Während des 2. Weltkriegs (unter Präsident Lazaro Cardenas) empfing Mexiko viele deutschsprachige Flüchtlinge des Naziregimes. Unter ihnen waren unter anderem KünstlerInnen, Intellektuelle und ÄrztInnen. Sie flohen vor religiöser, ethnischer oder politischer Verfolgung.

Heute kommen Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen, die für deutsche/österreichische/schweizer oder multinationale Firmen arbeiten. Außerdem migrieren Geschäftsleute, AbenteurerInnen und KünstlerInnen nach Mexiko. Zusätzlich existiert natürlich der Tourismus, der auch Menschen hervorbringt, die sich für das Land begeistern und versuchen sich dort eine Zukunft aufzubauen.

Durch die heute erleichterte und kostengünstigere Mobilität, sowie durch verbesserte Transportmittel existiert vermehrt temporäre Migration. Die Menschen bleiben für kürzere Zeitspannen und es gibt oft keine endgültige Entscheidung für das Leben auf einem Kontinent oder in einem Land.